Im Flieger.

So, auf nach Nepal, jetzt geht die Reise los. Ich gehe in mich und überlege, was diese Reise für mich eigentlich bedeutet. Was erwarte ich von ihr? Welche Fragen will ich klären, worauf meinen Geist ausrichten? In letzter Zeit habe ich mich so gar nicht im meiner Mitte gefühlt. Mein Kopf war voller Dinge, die zu tun sind, sowohl was die Arbeit anging – ich wollte einen guten Abschluss hinzukriegen – als auch die Reise an sich, die vorbereitet werden sollte. Dazu kamen noch persönliche Dinge, die mich in eine emotionale Achterbahn brachten. Ich hatte das Gefühl, dass mich die Dinge im Außen gefangen nehmen und ich Geschehenes wiederkaue, analysiere, nacherlebe – und mich vielmehr in der Vergangenheit und Zukunft aufhalte als im Hier und Jetzt.

Ich höre mir ein Hörbuch von Jack Kornfield an – genau darüber spricht er – dass Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen zwar zum Menschsein gehören, aber nicht unser wahres Wesen sind. Sie sind wie die Bilder eines Films auf der Leinwand. Sie sind da und gehen wieder vorbei. Doch wo kommt das Licht her, welches die Bilder projiziert? Wenn man sich umdreht, so sagt er, und auf die andere Seite des Kinoraumes guckt, dann sehe man das Licht. Welches rein und grenzenlos ist, unberührt von diesem ganzen Wulst an Erfahrungen, Körperempfindungen, Emotionen, Erwartungen etc., welche das Licht färben und den Film unseres Lebens gestalten. Das Licht sei unser wahres Wesen. Das reine Bewusstsein, durch das wir mit Allem verbunden sind.

Ja, nichts Neues, denke ich mir, schon oft in verschiedenen Varianten gehört. Im Yoga sagt man, dass das Licht durch verschiedene Schleier getrübt wird, oder dass das wahre Selbst von Hüllen (Koshas) eingeschlossen ist. Und nun, wo ich das doch weiß, wieso ist es dann so schwer, es auch zu leben? Wieso ist es so schwer, Emotionen und Gedanken los zulassen und dauerhaft mit dem Bewusstsein in Verbindung zu bleiben?

Intuitiv spüre ich, dass dies mein Thema ist. Darüber will ich auf der Reise mehr herausfinden. Nicht in theoretischer Form, sondern ganz unmittelbar. Wann driftet mein Geist ab? Was denke ich, wenn ich denke, und sind das gute Gedanken? Wie komme ich wieder zurück zur Achtsamkeit, zum reinen Gewahrsein? Welche Qualität hat dieser Zustand, was macht den Unterschied aus?

Ich kenne das Gefühl, zurück zu treten und Beobachter der Situation zu sein. Auch in schwierigen und schmerzhaften Momenten. Es hilft mir, diese als etwas Vergängliches zu sehen, mich von diesen Emotionen zu distanzieren und dennoch den Schmerz voll und ganz anzunehmen. Aber es gibt feine Unterschiede: manchmal kopple ich mich von dem Erlebten ab, ziehe mich in mich selbst zurück. Das kann manchmal eine Schutzfunktion sein. Doch dies ist mit dem reinen bzw. universellen Bewusstsein nicht gemeint: es geht vielmehr darum, völlig präsent zu sein, im Erlebten aufzugehen, und gleichzeitig bei sich selbst zu bleiben. Manche bezeichnen dies auch als „Flow-Erfahrung“. Diese Gratwanderung von Innen und Außen. In beiden Polen gleichzeitig verweilen.

Und während ich noch über das gehörte sinniere, wird im Flugzeug das Licht heller und Warnlämpchen leuchten auf. Erst jetzt merke ich, dass das Flugzeug ruckelt und schwankt. Wir fliegen durch ein Unwetter und die Stewardessen halten uns dazu an, sitzen zu bleiben und die Sicherheitsgurte anzuschnallen. Eine angespannte Stimmung breitet sich aus. Ich spüre, wie mein Herz schneller schlägt und sich mein Magen zusammen zieht. Oh, das sieht nicht gut aus, was wenn wir abstürzen? Hat mein letztes Stündlein geschlagen? Ein Gedanke folgt dem anderen. Und zwischen den Gedanken wird mir klar, was ich denke. Es sind Gedanken der Angst. Ja, ich habe richtig Angst!

Okay, ich nehm das hier als Übung. Denke ich. Ich kann folgendes auf meiner Leinwand beobachten: meine Körperreaktionen – Herzrasen, leichtes Zittern, Rumoren im Magen. Meine Emotionen – Unsicherheit, Kontrollverlust, Angst, Panik. Meine Gedanken – wie würde die Nachricht von diesem Flugzeugunglück aussehen und wann würde sie meine Eltern und Sascha erreichen? Wie würden sie damit umgehen? Welche Dinge werde ich nicht mehr tun können, die ich gerne getan hätte? Was würde ich mit meinem Leben, meinem bisherigen Wirken, dieser Welt hinterlassen?

Okay, das ist also die Leinwand. Und nun mal schauen, ob ich mich mit dem Licht dahinter verbinden kann. Spüre ich es? Auch in so einer Extremsituation? Ich schließe die Augen und atme. Ich versuche einfach nur zu atmen. Mich mit der Weite und dem Frieden in mir zu verbinden. Mich ganz weit und frei zu machen. Die Muskeln meiner Hände und Arme entspannen sich. Die Muskeln meiner Oberschenkel entspannen sich. Mein Atem wird tiefer.

Plötzlich kommt wieder ein heftiger Ruck und das Flugzeug verliert für ein paar Sekunden im Sturzflug an Höhe, der Druck in meinen Ohren steigt. Bam, da ist wieder ein Gedanke und ein zweiter und ein dritter. Mein Magen zieht sich zusammen. Wenn ich jetzt sterben sollte, dann nicht mit dem Kopf voller Angstgedanken! Ich atme ein paar mal durch und lasse diese los. Versuche mich wieder mit dem Gefühl des Friedens zu verbinden.

Ich merke, dass die Stimmen und die Geräusche im Flugzeug sich entfernen, dumpfer werden, dass mein Kopf sich in Watte einhüllt und mein Körper von einer warmen Welle umspült wird. Das fühlt sich zwar zunächst ganz gut an, da die Angst auch nicht mehr so präsent ist, doch intuitiv merke ich: nein, nein, dass ist es auch nicht, ich will mich nicht wegbeamen.

Also zurück zum Hier und Jetzt, auch wenn es sich scheiße anfühlt. Ich sitze nun mal hier, weg kann ich nicht, und innerlich werde ich auch nicht die Flucht ergreifen. Atmen. Atmen.

Plop. Ich nehme alles um mich ganz genau wahr, bin gleichzeitig aber viel mehr als der Klumpen aus Fleisch, Emotionen und Gedanken, der da im Flugzeug sitzt und habe die tiefe Gewissheit, dass nichts endet – ich werde gehalten von etwas Großem und Ganzen, in das ich völlig eingehen kann. Ich bin hier, und gleichzeitig bin ich nicht hier. Ein Teil von mir ruht in einem Sein, in dem ich mich hinein entspannen und auflösen kann, denn dort gibt es keinen Anfang und kein Ende.

Und kaum tauche ich für ein paar Momente in diese friedvolle Gewissheit ein, reißt mich ein Angstgedanke wieder heraus. Und so geht dies Hin und Her. Ich kann diesen Wechsel beobachten, darüber schmunzeln, oh mann, genau das ist es – ich spüre die Verbindung und ich spüre sie wieder nicht! Ich nehme wahr, wie sich dieser Wechsel anfühlt und was das mit meinem Körper macht. Ich kann die Enge der Angstgedanken wahrnehmen und die sich auflösende Weite meines Bewusstseins.

Mich völlig zu entspannen gelingt mir erst, als das Flugzeug wieder ruhigen Flug aufnimmt. Okay, das ist es also. Die Reise hat kaum begonnen und ich bin mitten in der Erfahrung, die ich gesucht habe.

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